1798/99: Urban Isenecker, "Rebstockwirt" in Hugstetten
von Thomas Steffens
Unter den Herrschaftsrechten und Einkünften, die der vorderösterreichische Adel vor 1806 in unseren Dörfern genoss, hingen einige mit dem Gastwirtsgewerbe zusammen. Wenn ein Bürger sie darum bat, durfte die Ortsherrschaft, nach einer Prüfung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse und der Gegebenheiten im Ort, ihm eine "Schildgerechtigkeit" verleihen, z. B. " Zum Engel". Dabei verdiente die Herrschaft doppelt: Erstens war schon die Schildverleihung mit einer hohen Geldzahlung verbunden, zweitens durfte sie das "Umgeld" einziehen, eine Art Umsatzsteuer auf ausgeschenkten Wein.
Am Ende des 18. Jahrhunderts teilten sich in Hugstetten der Freiherr von Schackmin und eine Freifrau von Girardi, verwitwete von Speidel die Ortsherrschaft. Allerdings waren die Anteile höchst ungleich.[1] Frau von Girardi besaß nur ein Siebentel des Dorfes, während Herr von Schackmin sechs Siebentel sein Eigen nannte. In der Praxis sah das so aus, daß letzterer jeweils sechs Jahre nacheinander die Obrigkeit ausübte, während im jeweils siebenten Jahr Frau von Girardi an die Reihe kam. Wahrscheinlich war diese umso mehr darauf bedacht, ihre Rechte in dieser kurzen Zeit auszuschöpfen.
So verlieh sie im Herbst 1798 dem Hugstetter Bürger und Leinenweber Urban Isenecker (oder "Eisenecker"), als er darum nachsuchte, eine Wirtsgerechtigkeit "Zum Rebstock", wofür sie die beträchtliche Summe von 100 Gulden kassierte. Dies rief alsbald den heftigen Protest der bereits vorhandenen Gastwirte hervor, die keinen Konkurrenten wünschten. Aus dem Schriftverkehr der Auseinandersetzung können wir dies und jenes über das damalige Hugstetten erfahren.
In Hugstetten waren damals schon die Gastwirte Baptist Wagner ("Zum Engel"), Martin Metzger ("Zum Rössle", im jetzigen Schlosspark, später als "Rotes Kreuz" an der Landstraße neu erbaut) und Martin Fischer ("Zum Adler") ansässig. In ihrem Protestschreiben an die vorderösterreichische Regierung betonten sie zunächst energisch: Hugstetten braucht keinen weiteren Wirt. Es gebe hier höchstens 80 Bürger (d. h. Haushalte), "worunter der größte Teil zur Klasse der Armen gehört". Die meisten Hugstetter seien folglich "unvermögens (hätten kein Geld), in einer Schenke einen Schoppen Wein zu trinken und müssen sich mit Wasser begnügen". Drei Wirte – die Schreiber natürlich! - reichten also aus.
Weiter: Die ganze March ist mit Wirten "übersetzt". In Buchheim gibt es fünf bis sieben, in Neuershausen fünf, in Holzhausen immerhin drei. Und dabei liege man hier an keiner belebten "Hauptstraße" mit viel Durchgangsverkehr.
Dann ein ziemlich heuchlerisches moralisches Argument: Wo es zu viele Wirte gebe, kämen die Bürger durch Gelegenheit zum Trinken leichter auf die schiefe Bahn und sogar in Gefahr, ihr Vermögen einzubüßen. Dies besonders in Orten wie Hugstetten, wo der Rebbau "sehr eingeschränkt ist" (d. h. die Leute weniger daheim trinken können). Mit anderen Worten: Bleiben sie, die drei Wirte, unter sich, ist alles in bester Ordnung. Kommt ein neuer hinzu, beginnen die Leute ihr Hab und Gut zu versaufen.
Das Klagelied geht weiter: Als kürzlich (1796 – 98) die Truppen der französischen Revolution ins Land eingedrungen seien, hätten die Wirte durch Besatzung großen Schaden erlitten. Jetzt, wo auch noch die Weinpreise zu fallen anfingen, wolle die Herrschaft sie durch einen neuen Konkurrenten noch zusätzlich schädigen. Die drei Wirte erklärten sich sogar bereit, der Frau von Girardi die Gebühr ("Taxe")für die Schildgerechtigkeit zu ersetzen, wenn sie die Genehmigung für Isenecker wieder zurückziehe. Dieser habe übrigens über seine "Profession" als Weber hinaus noch acht bis zehn Jauchert (ungefähr 3,5 Hektar) Feld im Eigentum, sei also gut gestellt und brauche die Gastwirtschaft gar nicht.
Dagegen meldete sich der herrschaftliche Amtmann Caluri. Zunächst einmal sei die Beschwerde der Hugstetter Wirte überaus "anmaßlich" und diene – klar ersichtlich - nur ihrem eigenen Nutzen. Die Herrschaftsrechte, auch das der Frau von Girardi, seien alt und gut begründet und dürften nicht von jedem Untertanen in Frage gestellt werden, wenn sie ihm nicht passten.
Hugstetten habe zur Zeit (1798) 89 Häuser, 104 Familien und 445 Seelen (Einwohner). Es liege zwar nur an einer "Vizinalstraße" (von den Gemeinden unterhaltene Straße). Aber diese führe durch die "sogenannte March" zu den Wochenmärkten in Freiburg, Kenzingen und Endingen. Sie sei "so stark frequentiert, daß sie einer Hauptstraße gleichkommt". Er gab zu: Die Hugstetter allein brauchten vielleicht nicht vier Gastwirte, aber für die vielen Reisenden sei eine größere Auswahl nur vorteilhaft.
Amtmann Caluri wies auch die Behauptung zurück, die klagenden Wirte hätten unter den Franzosen großen Schaden gelitten. Die seien nämlich "bei ihrem Einfall in den Breysgau (1796) nur in kleinen Abtheilungen durch die March gegen Freyburg anmarschieret, während ihrem Aufenthalt im Land ist kein Franzoß auf dem Lande und in Hugstätten einquartiert gewesen". Insgesamt hätten die Märsche höchstens 14 Tage gedauert. Zwar könne man das schlechte Benehmen der Franzosen nicht in Abrede stellen. (Es gab tatsächlich ausgedehnte Plünderungen und allerlei Gewalttaten.) Die Wirte hätten aber ihre Verluste gleich ihren Gemeinden in Rechnung gestellt und seien bereits entschädigt worden. Andere Bürger und die Herrschaft seien viel stärker belastet worden.
Und was Urban Iseneckers "Profession" und Vermögen betreffe, so seien wenigstens zwei der Protestierenden besser gestellt. Während Isenecker seine Weberei aufgegeben habe, übe Engelwirt Wagner weiterhin seinen Hauptberuf als herrschaftlicher Förster aus. Rösslewirt Metzger wiederum – Nomen est omen! "schlachtet und metzget daneben" in großem Umfang für die Bauern.
Die Herrschaft regte also an, den Protest der bestehenden Wirte abzuweisen. Der vorderösterreichischen Regierung und Kammer (sie befand sich wegen der unruhigen Zeiten nicht in Freiburg, sondern in Konstanz) leuchteten die Argumente der Wirte allerdings ein – sie untersagten Eisenecker das Wirten. Insbesondere gebe eine Vermehrung der Wirtshäuser auch mehr "Gelegenheit zum Schwelgen und erschwert die Polizeyaufsicht". Die Herrschaft wurde angewiesen, ihre Erlaubnis zurückzuziehen, und Urban Isenecker mußte bei angedrohter Strafe seinen Schild "zum Rebstock" wieder abhängen.
Vergebens suchte dieser sogar dem Kaiser weitere Argumente zu präsentieren: Zwei Drittel der Hugstetter wohnten im Unterdorf, wo sich auch "eine von der ganzen Nachbarschaft sehr frequentierte Öhl- und Reibmühle" und die Schmiede befinde. In dieser belebten Dorfgegend gebe es bisher nur den "Engel"; sein eigenes Haus als "Rebstock" könne ohne weiteres daneben bestehen. Und schließlich habe er schon 400 Gulden an Umbauten und Wirtsgerätschaften investiert.
Sogar die Hugstetter Gemeindeoberen – Vogt und Gericht - und ein großer Teil der Bürgerschaft setzten sich für Isenecker ein und "bekannten" am 11. August 1799 "daß wir wol zu friten seindt wan Unser gnetigster Keiser Frantz dem Urban Iseneckher dahier fort wirten laset". Der Brief enthält 51 Unterschriften.
Vorerst hatte Urban Isenecker anscheinend schlechte Karten, zumal auch seine "Gönnerin", die Freifrau von Girardi Anfang 1799 gestorben war und der Herr von Schackmin die Sache wohl nur halbherzig anging. Anscheinend ist Isenecker aber hartnäckig geblieben, und das hat sich ausgezahlt. Irgendwann im Laufe des Jahres bekam er wohl doch noch seine Wirtsgerechtigkeit; in der Reithmeyerschen Chronik von Hugstetten wird er jedenfalls als "Rebstockwirt" erwähnt. Das Gasthaus soll in der heutigen Weinbergstraße gestanden haben. Kurz nach 1800 haben die Hugstetter Isenecker übrigens zum Vogt gewählt.